Ohne Schulden kein Vermögen: Der Irrsinn der Ökonomie (II)

 

Wie jedes Kettenbriefsystem wird auch der Casinokapitalismus in sich zusammenfallen, wenn die Diskrepanz zwischen Fiktion und Realität zu groß ist, als dass man sich noch darüber hinweglügen könnte. Es sieht so aus, als würden wir uns diesem Punkt allmählich annähern. Immer mehr Menschen erkennen, dass die ins Unermessliche gestiegenen Geldvermögen ebenso irrationale Größen sind wie die im gleichen Maße gestiegenen Schulden, auf denen sie gründen. Wahrscheinlich wird den allermeisten auch erst jetzt, im Moment der Krise, der unaufhebbare Zusammenhang von Vermögen und Schulden bewusst, der da lautet: Ohne Geldschulden kein Geldvermögen!

Für jeden Euro, den Sie ansparen, muss irgendjemand einen Euro ausgeben, der ihm nicht gehört. Steigen also Ihre Ersparnisse, so müssen auf der anderen Seite auch die Schulden steigen. Dieses Spiel kann logischerweise nur so lange funktionieren, wie es den Schuldnern gelingt, den Eindruck zu erwecken, dass sie die verzinsten Schulden zurückzahlen können. Dies jedoch wird mit der Zeit immer schwieriger und irgendwann, wenn Schulden und Vermögen astronomische Höhen erklimmen, völlig unrealistisch. In diesem Moment der Wahrheit wird das Idiotenspiel der Homo-demens-Ökonomie offensichtlich, dann nämlich zeigt sich, dass Schulden, die niemand mehr bedienen kann, notwendigerweise auch Vermögen bedeuten, die durch nichts mehr gedeckt sind.

Normalerweise wird die Schuld am Versagen des Geldkreislaufs den zahlungsunfähigen Schuldnern aufgebürdet. „Wer auch sonst sollte schuld sein, wenn nicht der Schuldner?“,  glaubt der Gläubiger mit naiver Entrüstung. Also zwingt er jene, die nicht mehr zahlen können, siehe Griechenland (bald wird es auch andere Staaten ereilen), Buße zu tun, „den Gürtel enger zu schnallen“ und – auf Finanzteufel komm raus – zu sparen (was die angeschlagene Wirtschaft noch tiefer in den Keller stürzt und fatale soziale Konsequenzen hat ). Doch so bequem es für die Gläubiger auch sein mag, die Schuld beim Schuldner abzuladen, tatsächlich sind sie an der Misere gleichermaßen beteiligt.

Es ist nämlich keinesfalls so ehrenhaft, wie man vielleicht vermuten könnte, zu jenen sparsamen Menschen zu gehören, die – anders als die meisten Staaten oder überschuldete amerikanische Häuslebauer – nicht über die eigenen Verhältnisse leben. Denn derjenige, der unter seinen Verhältnissen lebt, ist volkswirtschaftlich nicht weniger schädlich. Der notorische Sparer, der nichts anderes im Sinn hat, als sein Kapital zu mehren, ist vielmehr ein doppeltes Übel: Er treibt nicht nur andere in die Schuldenfalle, sondern schwächt auch ganz unmittelbar den Wirtschaftskreislauf, auf dem sein Geldvermögen letztlich gründet. Warum? Weil Sparen nichts anderes bedeutet als Konsumverzicht, Konsumverzicht aber führt zu geringerem Absatz von Gütern und Dienstleistungen und somit zu fallenden realen Profiten, woraus wiederum höhere Arbeitslosenzahlen, geringere Steuereinahmen und vermehrte private Insolvenzen resultieren, am Ende sogar Staatsbankrotte und – über die Verquickung von Schulden und Vermögen – last, but not least der Verlust der privaten Ersparnisse.

Fakt ist: Wäre der Staat nicht mit milliardenschweren Konjunkturprogrammen, Subventionen, einem ausuferndem Sozialsystem sowie kolossalen Banken- und Staatenrettungsschirmen in die Bresche gesprungen, wären die Finanzmärkte aufgrund ihrer realwirtschaftlichen Absurdität längst schon kollabiert. Radikal-liberale und linke Ökonomen sind also gar nicht so weit voneinander entfernt, wie man meinen könnte. Der Unterschied zwischen ihnen besteht darin, dass die einen die Irrationalität des Staates kritisieren, der den Markt sabotiert, und die anderen die Irrationalität der Märkte, die den Staat ausbluten lassen. Faktisch jedoch sind beide Irrationalismen systemisch miteinander verbunden: Ohne die Irrationalität der Märkte würde sich der Staat nicht so irrational verhalten – und umgekehrt! Wer zwanghaft an alten ideologischen Denkschablonen festhält („links“ versus „liberal“), wird diesen systemischen Zusammenhang niemals begreifen können.

7 Gedanken zu „Ohne Schulden kein Vermögen: Der Irrsinn der Ökonomie (II)

  1. Sehr schön, ein Philosoph, der die Volkswirtschaftliche Saldenmechanik begriffen hat und damit schon mal weiter ist als die meisten heutigen Ökonomen.

    Ich bin seit längerem dafür, doppelte Buchführung als zusätzliche Grundrechenart verpflichtend in der Schule zu lehren, dann käme nicht so ein Unfug heraus und die Leute würden das Spiel durchschauen.

  2. Ich bin einer der verschuldeten Bürger, denn um ein Haus zu kaufen, nahm ich einen ersten Kredit auf, die Raten liegen unter meinen vorhergehenden Mietraten. Ein neues Auto verlangte nach einem zweiten Kredit und an jeder Ecke lauert die Werbung, die einem günstige Darlehen zur Anschaffung eines neuen Gegenstands verspricht. Hier sollte man die Vernunft und das monatliche Budget im Blick behalten. Ich bin verschuldet – doch habe ich meine Ausgaben im Griff!

  3. Lieber Schmidt-Salomon!

    Wenn es diese Homöostase wäre, die so leicht daherkommt : „ Ohne Schulden kein Vermögen“ , wäre die „holistische“ Ganzheit sofort gewonnen.

    D. h. Dies ist alles „irgendwo“ richtig und grundsätzlich falsch.

    Die grundsätzliche Nichtverortbarkeit des entscheidend bewahrheitenden Moments, gilt es zu begreifen!!.

    Als Beispiel erwähne ich das folgende Heidegger-Zitat:
    „Die Wahrheit >istnurRaumZeit<.".

    Fakt ist, niemand ist gegen den Sozialstaat und seiner keynsianischen Varianten, soweit man ihn sich leisten
    kann, und Deutschland kann ihn sich leisten, soweit es nicht die Sozialhife für die Südländer übernehmen muß.

    Da gibt es kein „links versus „liberal“, sondern von Können oder Nichtkönnen, von ( bisweilen ) Sein oder Nichtsein.

    Wie alle Geneigten Holisten vergessen Sie die unterschiedliche Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaften;
    und die „Menscheit“ ist ein verschnarchtes „System“, das bis zum Grunde des Abgrunds neigt.

    Da gibt es auch keine Rationalität, bzw. da hilft auch keine!;

    bzw. das ist so oder es ist nicht so!.

    Da es keine Gleichheit gibt, versuchen Sie hier den „rechten“ Anschein zu vermeiden, und vergessen dabei die gegenteilige Verstrebung aller Wahrheit, die Coincidentia Oppositorum.

    Als Gute-Nacht-Kuß gebe ich Ihnen noch folgenden Nietzsche:

    „Wenn es einmal möglich sein wird, isochronische
    Cultur – Linien durch die Geschichte zu ziehen, so wird
    der moderne Begriff Fortschritt artig auf den Kopf zu
    stehen kommen: – und der Index selbst, nach dem er gemessen, der Demokratismus.“.

  4. Lieber Michael Schmidt-Salomon,
    da will ich noch einmal auf http://www.nachdenkseiten.de hinweisen, die gestern auch auf Ihr neues Buch hingewiesen haben: http://www.nachdenkseiten.de/?p=12207#more-12207 – Punkt 11 dort 🙂

    Was die Schuldendiskussion betrifft, da warte ich schon gespannt auf ein bei Nachdenkseiten schon besprochenes Buch „Debt“ von David Graeber – etwas umfangreicher als Ihres, weil sich rein mit der Thematik „Schulden“ befassend, aber anscheinend durchaus lesenswert. Gruß Bernie

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